Hui – Ein Schmetterling…

(Gastbeitrag, bearbeitet von hrkl.de)

Schlaflos. Von links nach rechts, nach links, nach rechts. Gedanken jagen und erlegen ein Bild. Als Beute die Erinnerung an mein erstes aufrechtes Stehen. Im Kinderknast. Auch Laufstall genannt – ein Paradoxon wie aus dem besten Buche. Naja auf jeden Fall wurden da früher alle Kinder abgesetzt, wenn die Mami was Wichtiges zu tun hatte und das Kind womöglich unbeaufsichtigt Unfug treiben konnte. Man wollte ja Verletzungen vermeiden! Laufend im Stall. Bewegung im Stillstand. Früh übt sich.

Bild 1 WiesePlötzlich steh ich auf einer gedruckten, bunten, stilisierten 70er Jahre Wiese mit Blümchen und im Flug erstarrten Schmetterlingen. In die Hocke gehend, mit dem Finger die Schmetterlinge umfahrend wünscht ich, sie mögen fliegen. Fröhlich schwirrend. Der Geruch des Grases führt mich an den sanften Hang im Garten meiner Kinderfreundin. Wir kullern sommerlich und leicht herunter. Die Welt dreht sich. Immer und endlos weiter. Wunderbare Losgelassenheit des Seins.

Ich kann mich genau an den Moment erinnern an dem ich es „konnte“. In die Pedale treten, die Bewegung meines Rades erfühlen und einfach fahren, ohne mich auf meinen Körper konzentrieren zu müssen. Das sichere Gefühl zu erleben, dass ich nicht umkippe. Ohne nachzudenken, sich einfach auf sich verlassen können. Mein Rad und ich eins – maschinengleich, untrennbar. Wie der kurze Spaziergang im Winter. Mit ihm. Ein unvergleichliches Miteinander gehen. Die Bewegung neben mir erspürend, die Schritte anpassen. Selbstverständlich. Zwar so früh dunkel und zitternd die Kälte einatmend und dennoch gewärmt von der Nähe des Anderen. Die Flöckchen, die mein Gesicht küssen, schenken angenehme Kühle. Eine Zeit der Gemeinsamkeit, des gleichen Herzklopfens, des Innehaltens und des Verweilens. Die Zeit fließen lassen. Sich selbst vergessend.

Und eines Tages den inneren Laufstall erahnen. Genaueres Hinsehen. Das Auge erkennt keine Bewegung mehr. Genaueres Erfühlen. Nichts. Der Takt ist verloren. Das Tempo wird vorgegeben. Das Selbstverständliche wird unrund, die Harmonie zur Unrast. Die Gedanken fließen weiter und stoßen an Grenzen. Als ich langsam den geneigten Kopf erhebe, erkenne ich Fesseln an all meinen Gelenken und will nur noch aufwachen. Die Schmetterlinge zu meinen Füßen vor Kälte erstarrt, irgendwie wunderschön mit Eiskristallen verziert glitzern sie. Eiszeit im Herzen. Finger, die die Schmetterlinge berühren und sich wünschen, sie fliegen zu sehen. Ich sehe den Hauch meines Atems und friere innerlich.

Bild 3 Lost and Decay

Erstarrt die Weile des Bewusstwerdens. Ein unüberwindbares Hindernis – diese Wände des Laufstalls.

Oder doch die Erkenntnis, dass man sie leicht überwinden kann? Wenn man will. Trete meinem inneren Schweinehund kräftig vor das Maul und sehe hämisch grinsend, eine unbändige Freude verspürend zu, wie er sich winselnd, seine Wunden leckend, hinter den Kaminofen verzieht. Schwinge mich erlöst über meine Laufstallmauer und atme die Luft der Freiheit. Verharre kurz, oh – ein Schmetterling. Abgelenkt auf der Lippe kauend, kurze stille Zwiesprache mit meinem Herz haltend. Ich nehme die Abbiegung nach links. Lasse den Anderen weiter geradeaus laufen und interessiere mich nicht dafür, ob er noch einmal nach mir Ausschau hält. Laufe meinem Schmetterling hinterher. Und finde am Wegrand eine kleine Blume, die ich lächelnd pflücke und mir hinter das Ohr stecke. Freiheit atmen und schmecken und anfassen. Erstaunt kurz innehalten und merken, dass das Innere vor Freude aufgeregt tanzt. Ängste huschen wie Schatten in ihre Nischen zurück.

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